Flüchtlingskrise
„Sie sind Deutscher?“ Erich kratzte sich den dicken Bauch. Über ihm summte die Neonröhre, die den spartanischen Verhörraum beleuchtete.
„Ja. Na klar.“
„Würden Sie mir dann bitte erklären, warum Sie zu Fuß über die Balkanroute einreisen?“ Seine wässrigen Augen ließen den unrasierten Mao, der ihm gegenüber saß, keine Sekunde unbeobachtet.
Der rollte mit den Augen. „Na das ist ja momentan die bequemste Möglichkeit als syrischer Flüchtling nach Deutschland zu kommen.“
„Ich denke, Sie sind kein Flüchtling?“
„Das erzählen Sie mal den Kollegen, die mich abgeschoben haben!“
Erich wischte sich den Schweiß aus dem Nacken. Sein Atem ging schwer. „Sie wurden abgeschoben?“
„Meinen Sie etwa ich bin freiwillig nach Syrien geflogen? Da ist Krieg!“ Maos Stimme hatte einen Unterton bekommen, der Erich das Gefühl gab, hier der Dumme zu sein.
„Wenn Sie Deutscher sind, kann man Sie doch gar nicht abschieben.“
„Das habe ich denen auch gesagt!“
„Warum haben Sie denen denn nicht Ihren Reisepass gezeigt?“
„Den hatte ich gar nicht mit!“ Mao wurde lauter. „Man braucht doch keinen Reisepass, um nach Budapest zu fahren.“
„Aber einen Personalausweis.“
„Ja, das habe ich dann auch gemerkt.“
„Wie sind Sie denn überhaupt nach Budapest gekommen?“
„Na mit dem Flugzeug!“ Maos Stimme war jetzt ein Kreischen.
„Da hätten Sie doch ihren Ausweis bei der Abreise zeigen müssen?“ Erich verlor langsam die Geduld.
„Dann hat ja jemand am Flughafen richtig Mist gebaut!“ In Maos Miene lag Abneigung.
„Nur für mich zum Verständnis: Sie sind ohne Ausweis nach Budapest gekommen?“ Erich hob erstaunt seine zotteligen Augenbrauen.
„Ja, aber nicht mehr zurück!“ Mao verschränkte die Arme vor der Brust.
„Sie hätten sich doch Ersatzpapiere bei der Botschaft geben lassen können.“
„Das sagen Sie mir jetzt erst!“
„Sind denn die Kollegen bei der Einreise nicht stutzig geworden?“
„Na schon, die wollten ja auch meine Frau anrufen.“
„Wieso haben sie das nicht?“
„Als ich ihnen ihren Namen aufgeschrieben hatte haben sie mich festgenommen!“
„Wie heißt denn Ihre Frau?“
„Al Qama.“
Erneut hob Erich die Augenbrauen in Ungläubigkeit. „Al Qama?“
Mao nickte.
„Ihre Frau ist Muslima?“
„Nein, Katholikin!“
„Sie ist Deutsche?“
„Aus Tel Aviv!“ Mao schrie fast.
Er schrieb die Telefonnummer seiner Frau auf einen Zettel, welchen Erich an einen Uniformierten, zur Überprüfung weiter reichte.
„Also noch mal: Sie haben Ihren Ausweis vergessen. Kamen deswegen an der Grenze in Abschiebehaft. Sie wurden nach Syrien abgeschoben und haben sich dann zu Fuß zurück über die Balkanroute nach Hause gemacht. Das hat doch bestimmt Monate gedauert.“
Mao nickte, rollte mit den Augen und zeigte zur Bestätigung auf seinen zerlumpten Pullover.
„Und während der ganzen Zeit kamen Sie nicht auf die Idee jemanden anzurufen, der Ihnen hätte helfen können?“
„Wissen Sie, wie teuer so ein Schlepper ist? Ich hatte kein Geld mehr.“
„Einen Schlepper heuert man an, wenn man gefahren wird. Wenn Sie alleine, auf eigene Faust unterwegs sind brauchen Sie keinen Schlepper!“ jetzt wurde auch Erich laut.
Nachdem sich die beiden Männer angeschrien hatten, trat für einen Moment Stille ein. In Maos Gesichtsausdruck sah man deutlich, wie sich alle Rädchen drehten. Dann verzog er das Gesicht zu einer mies gelaunten Fratze.
„Sind Sie schon mal als Flüchtling unterwegs gewesen!? Nein!? Woher wollen Sie das also wissen!? Wenn der Schlepper sagt, ich muss ihn bezahlen, dann bezahl‘ ich ihn! Ob er mitkommt oder nicht! Er ist immerhin der Profi!“
„Okay, okay“, versuchte Erich ihn zu beruhigen. „Konzentrieren wir uns auf das Wesentliche: Was haben Sie in Budapest gemacht?“
„Herrenabend.“
„Sie fliegen für zwölf Stunden zum Herrenabend nach Budapest?“
„Ja, wieso? Sollten Sie vielleicht auch mal machen.“
„Und die anderen Herren konnten Ihnen nicht helfen, als die Probleme auftauchten?“
„Die waren ja gar nicht dabei.“
„Die sind länger in Budapest geblieben?“
„Die waren gar nicht erst DA!“
„Sie waren alleine in Budapest zum Herrenabend!?“
„Hätte ich gewusst, dass die anderen nicht kommen, wäre ich gar nicht erst gefahren!“
„Die haben Sie sitzen gelassen?“
Mao zuckte mit den Schultern. „Das war bestimmt die Revanche für die Fischsoße.“
„Fischsoße?“
„Ist eine lange Geschichte.“
„Mhm … Und was haben Sie gemacht, als Sie gemerkt haben, dass die anderen nicht auftauchen würden.“
Mao lehnte sich verschwörerisch nach vorne „Na, was machen Sie denn so, wenn Sie einen Herrenabend machen?“.
„Also, ich …“ Er zwinkerte.
Die Tür ging auf. Ein blondes Mädchen kam, vor Freude über ihren Papa quiekend, hereingerannt. Sie sprang Mao auf den Schoß und kicherte. Unterdessen übergab Al Qama Maos Geburtsurkunde an Erich.
What? How come I never saw that one before? Many points in that story sound veeeery familiar.
But who would do something with Fischsosse, for real?