Hunger
Als Ferguson aus dem Fahrstuhl kam, legte der Pförtner sein Pastrami-Brot zur Seite und schluckte hastig den letzten Bissen herunter.
„Pünktlich wie immer Herr Ferguson.“
„Stimmt genau.“ Ferguson hob den Hut. „Auf Wiedersehen.“ Und damit trat er in das fahle Licht des Abends. Sein Magen knurrte leicht.
Er hatte drei Minuten um sich Gedanken über sein Abendessen zu machen, dann hielt der Bus zischend an der Haltestelle.
„Hallo Bill!“, begrüßte er den Fahrer, „schöner Abend heute, oder?“
Bill nahm das Stück Trockenfleisch aus dem Mundwinkel. „Soll aber noch regnen.“
Der Smalltalk versiegte schnell und Ferguson ging in den hinteren Bereich. Der Bus war leer bis auf eine dunkle Gestalt und die saß ausgerechnet auf Fergusons angestammten Platz. Unsicher zögerte er und musterte den jungen Mann. Den Blick gesenkt und das Gesicht im Schatten seiner Kapuze verborgen saß er da. Eine Pepsi-Dose kullerte durch den Gang, das Neonlicht flackerte im Takt des schaukelnden Busses. Fergusons Mundwinkel zuckten, seine Nasenflügel weiteten sich. Dann machte er einen Schritt, dann noch einen und ließ sich schließlich hinter dem Fremden nieder. Er verschränkte die Beine und holte seine Zeitung aus der Manteltasche.
Der Knall zerriss die Stille, rollte durch den Bus und ließ die Fenster vibrieren. Erst spritzte Blut an die Scheibe, dann donnerte die Kapuze, samt dem darin befindlichen Schädel, daran. Der Mann sackte in sich zusammen. Ferguson legte die Waffe zurück in seine Zeitung und verstaute alles im Mantel. Der Bus kam zum Stehen. Bill streckte den Kopf aus seiner Fahrerkabine.
„Was soll das denn?“ Beim Anblick des Toten weiteten sich seine Augen. Er öffnete die Tür seiner Kabine. Je näher er der Leiche kam, desto höher zog er die Augenbrauen. „In den Kopf? Musste das sein?“
Auch Ferguson war aufgestanden. Er betrachtete sein Werk mit ein wenig Stolz in den Augen. „Das ist immer noch besser als deine Axt-Idee letzte Woche im Park, die nichts als Hackfleisch übrig ließ.“
„Hat dir das Gulasch etwa nicht geschmeckt?“
„Das Fleisch war zäh vom Stress. So etwas muss schnell gehen, es muss schlagartig sein. Präzise. Sie dürfen es nicht mitbekommen.“
„Aber das Gehirn!“
„Aber das Gehirn“, äffte Ferguson seinen Freund nach. „Was willst du immer mit dem Gehirn?“
„Das Kannibalen-Forum sagt, es ist eine Delikatesse.“
„Also das hier solltest du nicht essen. Dieser Mann hat nicht nur einmal seltsame Substanzen konsumiert.“
„Ach, du hast doch keine Ahnung. Hilf lieber ihn zu verpacken.“ Bill kramte eine Plastikplane aus der Fahrerkabine und breitete sie im Mittelgang aus. Die Freunde zerrten den Leichnam aus dem Sitz und wickelten ihn in die Plane. Mühsam und wenig elegant schleiften sie ihn nach draußen.
Bill hatte den Bus in einer Gasse abseits der Hauptstraße geparkt. Bis zu seiner Garage waren es nur ein paar Meter. Dort falteten sie den Körper in eine Kühltruhe.
„Benötigst du noch Hilfe?“, fragte Ferguson.
„Nee, danke. Mache heute eh nichts mehr.“
„Wirst du es denn bis zum Grillfest am Sonntag schaffen?“
„Klar. Habe morgen frei. Dann hat er noch genug Zeit zum Abhängen. Die Marinade ist auch schon fertig.“
„Also gut, dann mach ich mich jetzt los. Ich habe Hunger.“
Ferguson ging die letzten Meter zu Fuß nach Haus. In der Küche holte er das Gulasch aus dem Tiefkühler und wärmte es in der Mikrowelle auf. Das Fleisch war zäh, aber es schmeckte gerade noch. Pünktlich wie immer ging er ins Bett und freute sich auf Sonntag.
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