Posted in Deutsch, Stories
2018-09-20

Tanzbegegnung

Cavan schaltete die Musik ein und sanfte Klänge erfüllten den leeren Tanzsaal. Er öffnete den Reißverschluss seiner Trainingsjacke, ließ sie zu Boden gleiten und trat sie in die Ecke.

Dann begann er sich zu dehnen und zu rekeln und zu tanzen. Er steppte, er wiegte, drehte Pirouetten. Ein Ballonné hier, ein Sprung da. Cavan war in seinem Element. Die Welt hatte er ausgeschlossen, es gab nur noch ihn, das Parkett und die Musik. Die hatte ihren Höhepunkt erreicht. Er sprang, flog, drehte sich und schlitterte auf den Knien über den Boden. In dem Moment als die Musik zu Ende war, kam er kurz vor dem Spiegel zum Stop.

Stille. Nur Cavans Atem war zu hören. Verschwitzt starrte er sich entgegen. Seine schwarzen Locken klebten an der faltenlosen Stirn. Er lächelte selbstgefällig und stellte sich wieder auf die Füße. Jetzt war er bereit für die große Aufführung morgen. Und das Publikum würde ihn wie immer lieben.

Mit einem Hacken auf der Barre legte er die Nase auf sein Knie und schloss die Augen. Etwas knallte metallen. Es war nicht laut, aber gut hörbar. Die Lichter im Saal waren aus.

„Mist!“ Cavan tastete sich durch die Dunkelheit, bis er den Lichtschalter fand.

Klick – er funktionierte nicht.

Klick, klick, klick – die Dunkelheit blieb stur.

„So eine Sch…“ Wieder erklang ein Schlag, als ob jemand mit einem Hammer auf eine Metalltonne haute. Das Geräusch brachte Erleuchtung, wenn auch nicht viel.

Am anderen Ende des Saals zerschnitt ein Spot die Finsternis und beleuchtete die dort stehende Silhouette. Leicht gekrümmt stand sie im scharfen Licht und schaute zu Boden.

Ein zweiter Spot schaltete sich ein und blendete Cavan. Er hob die Hand über die Augen, um die seltsame Figur besser zu sehen.

Schlagartig richtete der Alien sich auf. Er schimmerte gelblich grau und bläulich grün. Die großen grünen Augen waren auf Cavan gerichtet und starrten ihn an. Bewegung kam in das Wesen. Erst ruckartig und abgehackt, dann immer glatter und runder. Sein gelber Overall knisterte leicht. Der Fliegerhelm auf dem kleinen Kopf glänzte im Licht. Als ob er schweben würde, schritt der Besucher auf Cavan zu.

Schließlich standen sie sich gegenüber. Cavan schluckte. Er blinzelte und schaute auf die seltsame Gestalt, die ihm gerade bis zur Brust ging, herab.

„Was bist du?“, flüsterte er.

Der Alien blinzelte zurück, setze einen Fuß vor und tippte leise mit der Spitze auf das Parkett. Er sah hinunter und probierte es noch einmal. Er schüttelte den Fuß. Gespannt beobachtete Cavan den Besucher. Der tippte erneut auf den Boden. Ein deutliches Klacken war zu hören. Kurz wartete er ab, dann klackte es erneut. Klack, klack, als Nächstes zog er seine Zehen mit einem reißenden Geräusch über das Parkett und klackte dann mit dem anderen Fuß. Ratlos sah Cavan den Außerirdischen an. Der wiederholte die Prozedur. Cavan ahmte ihn nach, was den Besucher dazu bewegte, eine komplexere Routine zu steppen.

„Ah, okay ich verstehe“, sagte Cavan und kopierte auch diese. Die nächste Folge aus Taps und Klacks sah professioneller aus, aber auch diese tanzte Cavan problemlos nach. Er fügte sogar seine eigenen Schritte hinzu, welche der Alien kopierte. Cavan lachte und klatschte in die Hände. Er kommunizierte mit einem Wesen aus dem All – durch Tanz! Mittlerweile klapperten die beiden synchron über die Tanzfläche, ließen Hände und Füße fliegen.

Plötzlich hielt der Alien inne und starrte Cavan an.

„Was ist los?“ Auch Cavan stoppte sein Steppen.

Der Außerirdische zögerte kurz, blinzelte, dann verbeugte er sich tief und reichte ihm die Hand. Ohne darüber nachzudenken, griff Cavan danach. Sie war weder kalt noch warm und weich wie Samt. Sie hielt Cavans fest und der Außerirdische zog ihn zu sich heran.

Die Diskokugel über ihnen begann sich zu drehen. Farbiges Licht reflektierte sich darin und tanzte durch den Raum. Ein Tango spielte an.

Der Außerirdische legte seine freie Hand auf Cavans Schulterblatt und schob.

„Oh … Okay … Du führst. Alles klar.“ Cavan kicherte nervös.

Der Alien schob ihn in eine Promenade, ließ ihn sich um seine eigene Achse drehen, dann änderte sich die Musik.

Nahtlos verfielen sie in einen Walzer. Beim Übergang kam Cavan ins Straucheln, aber der Außerirdische fing ihn ab und führte unbeirrt weiter. Die Musik beschleunigte. Der Walzer bekam österreichische Züge. Sie drehten sich, flogen über die Tanzfläche, drehten sich weiter. Schneller. Immer schneller.

„Halt … Ich kann nicht mehr. Mir ist schwindelig“, ächzte Cavan.

Der Alien hielt abrupt, zog ihn noch enger an sich und lehnte sich weit nach vorn. Dadurch lag Cavan in seinem Arm, ihm ausgeliefert und knapp über dem Boden gehalten. Ihre Blicke trafen sich. Cavan schluckte. Der Alien blinzelte, kam mit seinem Gesicht näher und zögerte. Er roch leicht nach Zimt. Sein Mund öffnete sich etwas. Cavan wusste nicht, was er denken sollte. Der Besucher schloss die Augen und kam noch etwas näher. Ihre Lippen hatten sich fast berührt, als sich jemand im Saal räusperte.

Erschrocken fuhren die beiden Tänzer herum. Ein zweiter Alien war erschienen und stand am Rande des Raumes. Er hatte einen weißen Kittel an und hielt ein Klemmbrett. Mit seinem langen Finger tippte er sich auf das Handgelenk und sah seinen Artgenossen eindringlich an.

Der drehte sich zu Cavan und legte den Kopf schief. Erneut änderte sich die Musik. Der Außerirdische hob Cavans Hand und gab ihm mit der anderen einen Schubs. Artig drehte sich Cavan. Und drehte sich weiter. Und weiter.

Mit jeder neuen Drehung führte der Außerirdische Cavan schneller unter seinem Arm hindurch. Noch einmal. Noch schneller. Und noch schneller. Cavan schwindelte es. Er kam ins Straucheln, stolperte. Er wollte sich lösen, aber seine Hand wurde wie von einer Maschine gehalten. Schließlich, verlor er das Gleichgewicht. Seine Füße wurden vom Boden gehoben und von den Fliehkräften nach außen getragen.

„Lass das, was soll das?!“ Hilfe suchend sah Cavan in die Augen seines Tanzpartners. Der sah stumm zurück und drehte Cavan weiter um sich herum. Cavan spürte den Druck auf den Wangen. In seinen Ohren rauschte es. Graue Flecken tanzten vor seinen Augen. Das Handgelenk schmerzte ihm. Er wollte etwas sagen, doch sobald er den Mund öffnete, wurde ihm die Luft aus den Lungen gerissen. Ihm wurde schwarz vor Augen, trotzdem hörte er deutlich das Knacken und Reißen in seinem Arm. Nur der Schmerz hielt ihn noch davon ab in Ohnmacht zu fallen. Erst wurde sein Arm unmerklich länger. Eine leichte Kuhle bildete sich am Handgelenk, dann gab auch die Haut nach. Cavan wurde durch die Luft geschleudert und prallte mit einer zermalmenden Geschwindigkeit gegen die Wand. Wie ein Beutel loser Schrauben sackte er in sich zusammen. Atmen schmerzte, aber er konnte wieder sehen.

Der Alien stand über ihm, betrachtete erst ihn, dann die abgetrennte Hand, bevor er sie sich über die Schulter schmiss. Er drückte einen Knopf an seinem Armband und sprach hinein: „Subjekt hat Zentrifugaltest nicht bestanden.“ Der Andere kritzelte etwas auf das Klemmbrett.

Ein metallener Schlag. Die Besucher verschwanden mit dem Licht. Cavans Welt wurde schwarz.

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