Posted in Deutsch, Stories
2019-04-20

Lolo Omo

Vick steuerte den roten Jeep auf die kleine Tankstelle/Gemüseladen/Schnitzerei. Hier oben, auf 6.000 Fuß, war es kühl und der Dschungel war einem dichten Sequoiawald gewichen. Sie stoppte abrupt neben der Zapfsäule.

„Sieht zu aus“, bemerkte sie mit einem Nicken auf das heruntergekommene Gebäude.

„Quatsch, da ist doch einer im Garten.“ Ich deutete auf die Silhouette, die zwischen den Sonnenblumen neben dem „Hauptgebäude“ umherhuschte.

Ich pulte mich aus dem Auto und ging auf das düstere Multifunktionsgeschäft zu. Meine Freundin wischte sich eine ihrer braunen Locken aus dem Gesicht und folgte mir. Ein Glöckchen kündigte unser Eintreten an. Vicks Gänsehaut spürte sogar ich. Ein solcher Ort, mitten im Nirgendwo, ließ ihre Fantasie verrückt spielen. Es war dunkel und die Regale waren nur spärlich bestückt. Staub hing in der schalen Luft und kitzelte meine Nase. Das Niesen, das aus mir heraus donnerte, erschreckte Vick und sie quiekte.

„G’sundheit!“, fiepte eine Stimme aus dem Zwielicht hinter der Kasse. Der hagere Mann, aus dessen Mund der seltsame Akzent kam, schlurfte barfüßig um den Tresen herum. Er richtete seine dreckige Brille und sah auf mich herab.

„Konn i hölf’n?“

„Haben sie Zeckenzeug?“, fragte ich unbeeindruckt.

„Wos is’n Zäck’nzeug?“

„Äh … Zeug … gegen Zecken.“

„Wieso? Hobst Ongst vor Zäck’n?“

Ich starrte ihn an.

„Uns’re Zäck’n san harmlos. Da müssta kane Ongst hab’n … Nicht vor den Zäck’n.“

„Wie meinen Sie das?“

„Komm’ Schatz, wir gehen.“ Vick nahm mich am Arm und zerrte mich nach draußen. Als wir abfuhren, war ich der Meinung, den Tankwart hinter der Scheibe stehen zu sehen.


Ich ließ meinen Blick über Vicks schlanken, trainierten Körper wandern. Als sie mich erwischte, lächelte sie mich aus braunen Augen an. Nach ein paar Minuten bogen wir von der Landstraße ab. Der schmale Zubringer schlängelte sich nah am Hang quer durch das dunkle Grün. Als wir das Eingangsschild von Twin Peaks erreichten, verschwand die fahle Sonne hinter den Bergen und die Zwillingsgipfel warfen ihren erdrückenden Schatten auf den kleinen Ort.

Vicks Schwester Isabel wohnte im letzten Haus. Dahinter war nur tiefer, dunkler Wald, in dem die Straße erst zu einem Weg und schließlich zu einem Pfad schrumpfte.

Nach einer ausgiebigen Begrüßung, einer langen Nacht und einem unheilvollen „Seid vorsichtig.“ von Isabel wanderten wir gestärkt diesen Pfad entlang. Bald versiegte er und die Vegetation verschluckte uns. Das Stapfen unserer Füße auf dem feuchten Waldboden war das einzige Geräusch hier draußen. Langsam bahnten wir uns unseren stetig ansteigenden Weg. Abends hatten wir den Fuß des Südhangs erreicht. Der Geocache, den wir angingen, hieß „Cerebrum Hirudo“. Er war auf halber Höhe versteckt und wir planten morgen Mittag dort zu sein. Auf einer Lichtung schlugen wir unser Lager auf.


„Hilf’ mir mal den Baumstamm hier ans Feuer zu legen. Dann brauchen wir nicht im Dreck sitzen“, befahl Vick.

Wir hoben das tote Holz an. Wenn Vick schrie, schrie sie um ihr Leben. Es war ein Kreischen, laut und hoch genug, dass einem das Mark in den Knochen gefror. Es hallte von den Bergen zurück und mein Herz setzte einen Schlag aus. Fast hätte ich mein Ende des Stammes fallen gelassen. Stattdessen schmiss Vick ihres weg und vollzog ihren Ist-Ja-Eklig-Tanz. Das Holz glitt mir aus den Fingern und fiel. Nicht zur Erde, sondern auf meinen Fuß. Schmerz breitete sich aus und ich verlor das Gleichgewicht.

„Oh Scheiße! Sorry, sorry!“ Vick stürzte neben mir auf die Knie und küsste mich. „Sorry, Affe, alles okay?“

„Es geht schon.“ Ich rappelte Mich auf. Das Pochen im Fuß ignorierte ich. „Was ist denn passiert?“

Vick zeigte angewidert auf das graue Häufchen, das unter unserem Baumstamm gelegen hatte. Ich konnte die Form erst nicht ausmachen, aber als ich näher kam, wurden die Züge des Blobs definierter. Ich erkannte es an den Reißzähnen. Der einst stattliche Berglöwe war um zwei Drittel geschrumpft. Das Fell war ihm ausgefallen und die mumifizierte Haut spannte über seinem leeren Gerippe. Die Leiche war soweit intakt, bis auf das faustgroße Loch im Hals. Aus diesem überdimensionalen schwarzen Knutschfleck kroch und fiel, das Zeug aus dem Albträume waren. Schaben, Maden, Käfer, suchten ihren Weg hinein und hinaus, und ließen die Haut des ehemaligen Raubtieres zittern.

„Lolo Omo“, flüsterte Vick.

„Was?“

„Ach nix. Nur etwas, was meine Schwester erzählt hat.“

„Habt ihr euch wieder Geistergeschichten erzählt?“

„Hey!“ Sie boxte mich in die Brust. „Geister gibt’s wirklich.“

Ich nahm sie in den Arm und küsste sie auf die Stirn. „Ich weiß, Süße.“ Meinen ironischen Unterton versuchte ich zu übermalen. „Gruseliger ist aber, dass wir im Puma-Territorium sind.“

Wir zogen den Baumstamm nah ans Feuer, kuschelten uns zusammen und untersuchten uns auf Zecken. Bald gingen wir ins Bett. Gegen Mitternacht weckte mich ein lautes Schlürfen. Zumindest glaubte ich das, denn als ich die Augen aufschlug, war die Nacht still. Ich tat meiner Blase den Gefallen und trat aus dem Zelt in die kalte Dunkelheit. Bei der Wahl eines Baumes war ich wenig wählerisch. Etwas raschelte und zuckte vor mir im Busch und ließ mich kurz innehalten. Plötzlich galoppierte etwas an mir vorbei. Ich sah nur eine kopfgroße silberne Kugel im Unterholz verschwinden. Als mein Atem sich beruhigte, kehrte ich ins Zelt zurück.


Der nächste Morgen war klamm vom Tau und über der Lichtung stand Nebel. Vick hatte das Feuer bereits wieder entfacht.

„Du bist die Beste“, bedankte ich mich für den Kaffee, den sie mir reichte.

„Hast du gut geschlafen?“ Sie lehnte ihren Kopf an meine Schulter und nagte schläfrig an einem Stück Brot.

Ich nickte und starrte ins Feuer.

„Da hinten liegt noch so ein ausgesaugtes Tier.“ Sie zeigte in die Richtung meines Baumes.

„Die sind doch bestimmt nicht ausgesaugt.“

„Seh’n aber so aus.“ Ihre Stimme war belegt.

„Was ist es denn?“

„Glaube ein Rehkitz oder so.“

Ich schlürfte meinen Kaffee.

„Fell hat es noch“, fuhr Vick fort.

„Liegt wahrscheinlich noch nicht so lange da.“

„Es hat genauso ein Loch im Hals, wie der Puma. Blutet sogar noch ein wenig.“


Nach dem Frühstück machten wir uns auf, um den Cache zu bergen. Wir nahmen nur das Nötigste mit, denn wir würden auf dem Rückweg hier wieder übernachten. Trotz des immer dichter werdenden Nebels kamen wir gut voran und pünktlich um 12 Uhr piepte das GPS. Der Cache war schnell gefunden und wir machten es uns unter einem nahen Baum gemütlich. „Warum heißt das Ding noch mal Zerebrum Dingsbums?“, fragte Vick, als sie uns in das Logbuch eintrug.

„Weiß nicht, hab’ die Beschreibung nicht gelesen.“

„Ist Zerebrum nicht irgendwas im Hirn?“ Sie steckte das Buch zurück in den Cache.

„Glaub’ schon.“ Ich reichte ihr einen Apfel.

Schweigend aßen wir in der ohrenbetäubenden Stille. Dann wanderten wir zurück. Im Lager checkten wir uns auf Zecken und genossen unseren letzten Abend in der Wildnis.


Wieder dieses Schlürfen. Diesmal war ich mir seiner Existenz sicher. Ich öffnete die Augen. Schlürf. Es war schon hell und Vick war am Lagerfeuer zugange. Schlürf. Ich wühlte mich aus dem Schlafsack und trat in die feucht-kühle Morgenluft. Schlürf. In meinem Schädel bebte Schmerz. Schlürf. Ich torkelte zum Feuer. Schlürf. Meine Augen gaben ihr Bestes. Schlürf. Aber sie fokussierten nicht. Schlürf.

Vick drehte sich zu mir um. Ihr Schrei zerschnitt die Luft. Ich wollte sie fragen, was los ist, doch mein Gesicht war taub. Vicks war in Horror verzogen. Meine Knie wurden weich. Ich musste mich setzen. Vick hatte ihr Telefon aus der Tasche gezogen. Mit zittrigen Fingern machte sie ein Video und zeigte es mir. Ich spürte die Farbe aus meinem Gesicht flüchten. Eine grau schimmernde Kugel hing an meinem Hals und pulsierte leicht. Was aussah, wie eine vollgesogene Zecke, hatte die Größe einer Apfelsine. „Zieh’s raus!“, schrie ich.

Vick reagierte und riss das Ding aus meinem Hals. Sofort floss Blut heiß und klebrig aus der Wunde. Ich fiel in den Dreck. Vick hatte das Vieh fallen lassen. Es lag auf dem Rücken und zappelte mit seinen acht Beinen. Seine scheren-artigen Kiefer öffneten und schlossen sich bedrohlich und der lange Rüssel rollte sich ein und aus.

Vick zertrat das Biest. Es explodierte in einer roten Wolke. Die feinen Partikel legten sich auf den Waldboden, wie Sporen eines Pilzes. Von dem Tier blieben nur die haarigen Beine übrig. Ich betastete das klaffende Loch in meinem Hals. Vick rannte zum Zelt und kam mit einem T-Shirt zurück. „Drück’ das da drauf!“ Sie presste das Shirt auf die Wunde und packte mich am Arm. Sie stützte mich auf dem Weg aus dem Wald. Immer wieder entglitt mir das Bewusstsein. Wenn ich fiel, hob Vick mich auf. Wenn ich rasten musste, gab sie mir Wasser. Es war eine Ewigkeit, bis Isabels Haus durch die Bäume blitzte.

„Lolo Omo“, flüsterte sie, als sie mich unter Vicks besorgten Blicken verarztete. „Lolo Omo!“


Am nächsten Tag zierten tiefe Augenringe mein Gesicht und ich fühlte mich verkatert. Vick parkte den Jeep an der Zapfsäule.

„Na, ham’s de Zäck’n euch g’biss’n?“

1 comment

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